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C. Scharf

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„Ungewöhnliches Verfahren“

Experte analysiert den Flutkanal-Prozess

Der Flutkanal-Prozess vor dem Landgericht Weiden erhitzte die Gemüter der Verteidiger und Ankläger. Oberpfalz-Medien hat Rechtsanwalt Christoph Scharf gebeten, das Verfahren als außenstehender Experte zu analysieren.

ONETZ: Würden Sie als Verteidiger in diesem Fall auch in Revision gehen?

Christoph Scharf: Nach dem Kampf, den sich Verteidiger, Anklage und Gericht geliefert haben, nach so vielen zurückgewiesenen Beweisanträgen, ist es nur konsequent aus Sicht der Verteidiger, Revision gegen das Urteil einzulegen. Allein schon aufgrund der langen Haftstrafe und dem von den Verteidigern geforderten Freispruch der Angeklagten, hätte es mich sehr überrascht, wenn durch die Verteidiger keine Revision eingelegt wird. In der Revision wird die Sache jedoch nicht noch einmal von Beginn an neu verhandelt. Der Bundesgerichtshof prüft die Urteile nur auf Rechtsfehler, nimmt hingegen keine eigene Beweiswürdigung vor, hört auch keine Zeugen oder Sachverständigen.

ONETZ: Beide, also Verteidigung und die Ankläger, gingen verbal aufs Ganze, teils mit drastischen und harten Worten. Wie haben Sie das wahrgenommen? War das noch im Rahmen oder schon eher ungewöhnlich?

Christoph Scharf: Dieses Verfahren muss durchaus als „ungewöhnlich“ bezeichnet werden. Die Stimmung wurde immer aggressiver, was sich selbst außerhalb der Verhandlungen in den Interviews der Verteidiger und des Nebenklägervertreters gezeigt hat. Die Verteidiger haben offen kundgetan, wie erbost sie über die Verfahrensleitung durch das Gericht waren. Ob den Verteidigern und ihren Angeklagten tatsächlich Unrecht getan wurde oder, ob es sich hier um ein rein subjektives Empfinden der Verteidiger handelt, kann ich als Außenstehender nicht beurteilen. Bei all dem darf man jedoch nicht vergessen, dass die Strafverteidigung häufig als „Kampf“ angesehen wird. Ich erlaube mir aus „Hans Dahs, Handbuch des Strafverteidigers“ zu zitieren: „Strafverteidigung ist Kampf, Kampf um die Rechte des Beschuldigten im Widerstreit mit den Organen des Staates, die dem Auftrag zur Verfolgung von Straftaten zu genügen haben.“ Nimmt ein Strafverteidiger diese Rolle an, so hat er je nach Verfahren diesen Kampf zu kämpfen. Gleichwohl gilt es in jeder Lage des Verfahrens das Gebot der Sachlichkeit zu wahren. Ob dies erfolgt ist, sei es von Seiten der Verteidigung, sei es von Seiten der Ankläger, kann ich als Außenstehender nicht beurteilen.

ONETZ: Welche Taktik haben die Verteidiger von Anfang an verfolgt? Und: Haben sie diese im Laufe des Verfahrens auch noch einmal geändert?

Christoph Scharf: Die Verteidiger haben von Anfang an auf einen Freispruch hingearbeitet, dies teilweise offen gegenüber der Presse kommuniziert. Hierzu sollte augenscheinlich versucht werden, so viele Zweifel wie möglich hinsichtlich des tatsächlichen Geschehensablaufes aufzudecken. An dieser Taktik hat sich meines Erachtens bis zuletzt nichts geändert, nachdem die Beweisanträge der Verteidiger immer wieder darauf abzielten durch die Handyauswertung Zweifel hinsichtlich des Todeszeitpunktes, den Bewegungen des Opfers und der Nutzung des Mobiltelefons hervorzurufen. Meines Erachtens bestand die Taktik der Verteidigung, aufgrund von Zweifeln am tatsächlichen Geschehensablauf eine Verantwortlichkeit für den Tod des Opfers, aber auch eine rechtliche Einstandspflicht zum Eingreifen auszuräumen, denn das Gericht hat im Zweifel für den Angeklagten zu urteilen.

ONETZ: Konnten Sie das Vorgehen der Ankläger und Verteidiger immer nachvollziehen?

Christoph Scharf: Um diese Frage zu beantworten, fehlen mir vertiefte Einblicke in das Verfahren. Nach den Berichterstattungen soll es jedoch Widersprüche im Rahmen der Angaben der Angeklagten beziehungsweise ihrer Verteidiger gegeben haben, ferner Sachverhaltsschilderungen, die objektiven Beweismitteln widersprachen. Wenn dem tatsächlich so war, ist das Vorgehen nicht nachvollziehbar.

ONETZ: Über allem in diesem Prozess stand die Frage der Moral. Inwieweit hat oder darf das eine Rolle spielen?

Christoph Scharf: Ob und wie weit die Frage der Moral in einem Strafverfahren eine Rolle spielt, hängt meines Erachtens von dem taktischen Verhalten der Verteidigung ab. Der Schmerz und die Wut der Geschädigten oder Angehörigen der Geschädigten ist durchaus nachvollziehbar, wenn Angeklagte die Tat leugnen und die Verteidigung dazu eine Konfliktverteidigung betreibt. Bei einer Konfliktverteidigung, die auf einen Freispruch ausgelegt ist, darf und kann meines Erachtens, so schwer dies auch für die Geschädigten, Angehörigen und die Öffentlichkeit verständlich ist, die Moral keine Rolle spielen. Eine andere Frage ist jedoch sicherlich, ob im konkreten Fall die gewählte Taktik der Angeklagten und Verteidigung die richtige war oder, ob eine von Reue geprägte Einlassung zur Sache und Schuldeinsicht nicht zu einer anderen rechtlichen Bewertung der Tat und zu einer deutlich milderen Strafe geführt hätten, was selbstverständlich erst nach Rechtskraft der Entscheidung des Landgerichts Weiden beurteilt werden kann.

INFO:

Zur Person

Christoph Scharf ist Rechtsanwalt mit einer eigenen Kanzlei in Weiden. Er hat sich bereit erklärt, Fragen als Experte zu beantworten und erklärt, wie er als Anwalt diesen komplexen Fall mit der Sicht von außen, also als Unbeteiligter, analysiert.

Er hat also weder an einem der Verhandlungstermine in seiner Funktion als Rechtsanwalt noch als Zuschauer teilgenommen, auch Akteninhalte im Detail sind ihm nicht bekannt.

ÜBERBLICK:

Anklage, Plädoyers, Urteile: Das war der Flutkanal-Prozess

Die Anklage: Zwei junge Männer aus Sulzbach-Rosenberg und eine junge Frau aus Weiden waren wegen des Vorwurfs des Totschlags angeklagt. Sie sollen ihren Freund Moritz G. (22) nach einer Zechtour im September 2020 nicht vor dem Ertrinken im Weidener Flutkanal gerettet haben.

Die Plädoyers: Die Verteidiger forderten Freispruch für ihre Mandanten. Die Argumente der Advokaten: Allenfalls könne man bei dem Trio über unterlassene Hilfeleistung diskutieren, auf die ein Jahr Freiheitsstrafe steht. Ansonsten aber sei das Schicksal von Moritz G. mit dem Sturz ins Wasser bereits besiegelt gewesen. Im Grunde hätte keiner mehr etwas für Moritz tun können. Oberstaatsanwalt Bernhard Voit forderte sechs Jahre für den „besten Freund“ des Ertrunkenen, fünf Jahre für die weibliche Angeklagte und 4,5 Jahre für den Fahrer. Voit rückte vom Tötungsvorsatz ab und plädierte auf Aussetzung mit Todesfolge, nicht mehr auf Totschlag durch Unterlassen.

Die Urteile: Gerhard Z. (25) bekommt fünf Jahre und sechs Monate Haft, Ariane I. (22) genau ein Jahr weniger. Der Unterschied begründe sich damit, dass Z. und der Ertrunkene ein enges Verhältnis gehabt hätten, die weibliche Angeklagte ihn aber erst zweimal zuvor getroffen habe, so die Strafkammer. Der Dritte im Bunde, Alex B. (alle Namen geändert), der Fahrer der Gruppe war, kommt mit sechs Monaten auf Bewährung davon. Da er bereits elf Monate in Untersuchungshaft saß, ist er nun wieder auf freiem Fuß und erhält für den Rest Haftentschädigung. In B.’ s Fall erkennen die Richter keinen Beschützerauftrag im juristischen Sinne. Die Verteidiger kündigten an , in Revision zu gehen. (phs/sbö)

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