BGH: Auch ein leidensbehaftetes Leben ist kein Schaden
Der Mensch hat grundsätzlich sein Leben so hinzunehmen, wie es von der Natur gestaltet ist und hat keinen Anspruch auf seine Verhütung oder Vernichtung durch andere, so der BGH bereits im Jahr 1983 in seiner wegweisenden „Wrongful-birth-Entscheidung“. Jahrzehnte später urteilte der BGH nun in seiner „Wrongful-life-Entscheidung“, das menschliche Leben sei ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig, sodass es keinem Dritten zustehe ein Urteil über den Wert des Lebens zu bilden und es sich daher verbiete ein auch leidensbehaftetes Weiterleben als Schaden anzusehen. Aus dem durch lebenserhaltende Maßnahmen ermöglichten Weiterleben eines Patienten lässt sich daher kein Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld herleiten.
Zum Hintergrund: Vor Jahrzehnten hatte der BGH zu entscheiden, ob sich ein Arzt schadensersatzpflichtig macht, wenn eine fehlerhafte Behandlung oder Beratung des Arztes im Ergebnis dazu führt, dass ein Kind mit schweren Behinderungen überhaupt zur Welt gebracht wird. Der behandelnde Arzt hatte fehlerhaft eine Rötelnerkrankung der Mutter nicht erkannt, wodurch sich eine schuldhafte Verletzung des Behandlungsvertrages begründete. Einen Schmerzensgeldanspruch des Kindes mit schweren Behinderungen lehnte der BGH jedoch ab. Der Fehler des Arztes war nicht ursächlich für die Behinderung des Kindes, sondern dafür, dass das Kind überhaupt geboren worden ist. Ein „fehlerhaftes Leben“ gibt es jedoch nicht, sondern dieses ist ebenso hinzunehmen, wie es von der Natur gestaltet ist. Damals bejahte er jedoch einen Anspruch auf behinderungsbedingten Mehraufwand und sogar den gesamten Unterhalt, mit der Begründung, dass die Vermögenseinbuße der Eltern den ersatzfähigen Schaden darstelle.
Jahrzehnte später musste sich der BGH mit einer ähnlichen Frage beschäftigen, wobei nun jedoch nicht der Anfang des Lebens, also die Geburt, sondern das Ende des Lebens, also der Tod, auf dem Prüfstand stand. Dieser Fall hat tatsächlich die höhere Praxisrelevanz und sorgt immer wieder für Diskussionen zwischen Angehörigen und Ärzten. Die Medizin ist fortschrittlich und ermöglicht viele lebenserhaltende Maßnahmen. Gleichwohl können solche Maßnahmen Pflichtverletzungen in Form eines Behandlungsfehlers darstellen. Wie jeder ärztliche Heileingriff sind lebensverlängernde Maßnahmen nämlich nur dann rechtmäßig, wenn sie medizinisch indiziert sind, lege artis ausgeführt werden und von einer informierten Einwilligung des Patienten gedeckt sind. So kann es sich beispielsweise als fehlerhaft darstellen über Jahre hinweg das Therapieziel der Lebenserhaltung durch eine künstliche Ernährung aufrecht zu halten, obwohl sich wesentliche Umstände geändert haben. Das Weiterleben kann jedoch keinen Schaden darstellen, selbst wenn der Patient es als lebensunwert erachtet. Auch darf die staatliche Gewalt das menschliche Leben nicht als Schaden und damit als „unwert“ einstufen. Es gibt somit weder ein „Wrongful life“, noch ein „Wrongful birth“ noch ein „Wrongful survival“. Auch eine Ersatzpflicht für die wirtschaftlichen Belastungen, die mit dem Weiterleben verbunden sind stellen nach dem BGH keine ersatzpflichtigen Schadenspositionen dar.
Die Entscheidung über eine Fortsetzung lebenserhaltender Maßnahmen ist für alle Beteiligten oft schwierig und emotional aufreibend. Für die behandelnden Ärzte entfällt gleichwohl aufgrund der Klarstellung des BGH die zusätzliche Belastung durch potenzielle haftungsrechtliche Konsequenzen einer etwaigen Fehlentscheidung, wenn sich der Behandler für das Leben des Patienten entscheidet. Nachdem dies in der Rechtsprechung umstritten war, hat der BGH nun Klarheit geschaffen.
Christoph Scharf
Rechtsanwalt
auch Fachanwalt für Medizinrecht
Veröffentlicht am 19.05.2025 / 17.05.2025 ,,Der neue Tag“ Oberpfalzmedien